Gedanken zu Mt 18,15-20
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.
Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde.
Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner.
Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.
Weiter sage ich euch: Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten.
Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wie sehen Situationen aus, in denen Sie sich rundum zufrieden, also pudelwohl fühlen? Das sind doch Situationen, in denen uns etwas Schönes geglückt ist.Und wenn wir uns angenommen fühlen, wenn wir wahrgenommen werden, wenn wir echt sein dürfen. Zusammengefasst: wenn wir geliebt werden und selbst fähig sind zu lieben. Oder wie Paulus formuliert: Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Punkt.
Darum geht es in den heutigen Schriftlesungen. Das ist aber alles nicht ganz so einfach, wie es sich anhört. Gesetze und Verordnungen helfen uns im Alltag! Unzufrieden sein, Fehler machen ist menschlich! Selbst wenn wir meinen, alles richtig gemacht zu haben, können wir am anderen Ende der Welt mit unserer Handlung ohne es zu wollen Schäden anrichten! Außerdem ist unsere Zeit eher vom Gegenteil geprägt, frei nach dem Motto: Jeder denkt an sich - nur ich denke an mich!
Viele Beispiele fallen uns da ein. Aktuell treffen wir z. B. auf Menschen, die in geschlossenen Räumen bewusst ohne Mund-Nasen-Schutz auftreten. Und sogar, wie letzten Samstag in Berlin, auf Uneinsichtige, die das Coronavirus leugnen und sich gleichzeitig einen autoritären Staat herbeisehnen. Geht‘s noch!? Können wir solche Menschen, aber auch unseren Freund, unser Kind, uns selbst zurückgewinnen zum Verstehen?
Das heutige Evangelium möchte eine praktische Anleitung sein, wie wir in unserem Alltag mit einem Mitglied unserer Gemeinschaft umgehen, das dieser Gemeinschaft schadet, das gelingende Begegnungen stört. Es geht um ein Herzstück unseres Glaubens, die Vergebung. Heute würde man vielleicht Konfliktmanagement dazu sagen.
Hier überrascht zunächst der positive, unvoreingenommene und sachliche Grundton des Textes. Der Betreffende wird nicht als Sünder bezeichnet, sondern als Bruder – oder Schwester, die gibt es ja auch. Unter allen Umständen soll dessen und deren Würde gewahrt werden! Deswegen wird zuerst ein Gespräch unter vier Augen geführt. Das kann gelingen! Wenn diese Unterredung erfolglos bleibt, sollen ein paar Zeugen hinzugezogen werden, vielleicht auch ein Mediationsgespräch. Und erst bei weiterer Uneinsichtigkeit die ganze Gemeinde, also die Öffentlichkeit. Wenn auch dieser dritte Versuch fehlschlägt, soll der Betreffende als für die Gemeinde verloren angesehen werden: als Heide – denn er vertraut auf etwas völlig Anderes, die gemeinsame Wertebasis fehlt, als Zöllner – denn er entscheidet sich, weiterhin schädigend, korrupt zu handeln.
Aber: Von Verurteilung oder Verdammen ist im Evangelium keine Rede! Der Betreffende ist eben für diese Gemeinde verloren, die Basis für gegenseitiges Verstehen ist verloren. Diese Ohnmacht gilt es auszuhalten. Die Wirklichkeit wahrgenommen wie sie ist, gehandelt und deutliche Worte gesprochen, wo es nötig war, Leid und Ohnmacht ausgehalten und ertragen hat Jesus Christus. Doch in der Stunde seines Todes wurde er nicht allein gelassen! Mit ihm wurden und werden wir erlöst zu neuem Leben. Das ist unsere Hoffnung und Zuversicht.
Im Vertrauen darauf können wir aus Ohnmacht ins Handeln kommen. Jeder, jede Einzelne von uns kann die Kräfte in seinem Umfeld stärken, die guttun, die Gutes tun. Jeder, jede kann die Gemeinschaft und Gesellschaft im Positiven voranbringen – zu mehr Solidarität und Nächstenliebe, dort, wo ich gerade stehe. Denn wo zwei oder drei in seinem Namen handeln, da ist er mitten unter ihnen. Das Evangelium ist ein Aufruf an uns zu gegenseitiger, liebevoller Verantwortung. Der einzelne Mensch behält seine Würde. Auch wenn er sich nicht mehr als dazugehörig versteht, gilt es ihn zu respektieren. Die Wege Gottes sind damit nicht zu Ende. Sie bleiben offen.
Amen.